Im Altenburger Land in Thüringen steht das Halbe Schloss in Langenleuba-Niederhain, nahe der Grenze zu Sachsen. Die barocke Anlage ist aus einem Rittergut hervorgegangen und heute nur noch zu zwei Dritteln erhalten. Der Verlust eines ganzen Flügels im 19. Jahrhundert prägt bis heute das Erscheinungsbild des Herrenhauses. Einst gehörte es zu dem Bergerkloster in Altenburg, das bis heute das Erscheinungsbild von Altenburg prägt und als „Rote Spitzen“ bekannt ist.
1290 wird Langenleuba erstmalig urkundlich als „Longa luben“ erwähnt, die Bezeichnung bezieht sich auf seine Lage am Leubabach. Anlässlich einer Buße übertrug Burggraf Heinrich II. von Altenburg auf Bitten seines Schwagers Heinrich von Wolkenburg dem Bergerkloster in Altenburg einen Jahreszins in Höhe von einem Talent altenburgische Denare aus dem Dorf Langenlaube, da Heinrich von Wolkenburg in einem Streit Heinrich von Kaufungen erschlug. Am 10. November 1290 nahm König Rudolf I. (1218–1291) das Altenburger Bergerkloster unter seinen Schutz.
In der Bestätigung der Rechte, Einkünfte und Besitzungen des Klosters wurde das Dorf ausdrücklich als „Luben major“ aufgeführt. Als Zeuge erscheint ein Johannes, plebanus in Langenluben – ein Hinweis darauf, dass es sich bereits um eine organisierte und geistlich betreute Siedlung handelte. Die geografische Lage brachte dem Ort schon früh strategische Bedeutung. Er lag an der Grenze zwischen dem Pleißenland und der Mark Meißen, einer Grenzregion, in der sich Machtansprüche und Besitzverhältnisse wiederholt veränderten.
Bereits vor dem 13. Jahrhundert wird eine Burg in Langenleuba erwähnt, deren Ursprünge vermutlich bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. Diese frühmittelalterliche Wasserburg befand sich an der Stelle des heutigen Ritterguts und diente den Burggrafen von Altenburg zur Sicherung der Grenze zur Mark Meißen. Über die genaue Form und Struktur dieser ursprünglichen Anlage ist wenig bekannt, da zeitgenössische Beschreibungen fehlen. Es ist jedoch gesichert, dass es sich um eine Wasserburg – möglicherweise um eine Flussritterburg mit späterem Ausbau – handelte, die über einen umfangreichen Wirtschaftshof mit Brauerei, Stallungen, Mühlen und einer eigenen Kapelle verfügte.
Die Strukturen der mittelalterlichen Anlage haben sich teilweise im Gelände des heutigen Ritterguts erhalten und könnten durch archäologische Untersuchungen genauer bestimmt werden. Im August 2023 wurden bei Grabungen bauliche Reste (Mauerwerk) des Vorgängerbaus im Bereich des heutigen Schlossfundaments entdeckt. Zudem ist überliefert, dass bereits vor der deutschen Besiedlung der Region eine Befestigungsanlage am heutigen Standort existierte; eine Ringburg mit einem Innendurchmesser von etwa 100 Metern. Der historische Wall dieser frühesten Befestigung ist noch heute hinter dem Schloss sichtbar.
Mit dem Aussterben der Burggrafen von Altenburg im Jahr 1329 ging die landesherrliche Gewalt über das Pleißenland an die wettinischen Markgrafen von Meißen über. Sie wurden damit auch Lehnsherren über Langenleuba. Die Haus- und Privatgüter der Altenburger Linie fielen zugleich an Elisabeth, die Tochter des letzten Burggrafen, und gelangten durch ihre Ehe an die Burggrafen von Leisnig. In der Folgezeit wurde die Burg in Langenleuba als Lehen an verschiedene Adelsgeschlechter vergeben, darunter neben den Burggrafen von Leisnig auch derer von Creutzen, von Zschadras und von Schauroth.
Im 17. Jahrhundert gehörte das Gut der Familie von Brandt. Letzter Besitzer dieser Familie dürfte der Altenburger Hofrat und sachsen-merseburgische Geheime Rat Christian Friedrich von Brand gewesen sein, der 1713 wegen Landesverrats und weiterer Vergehen inhaftiert wurde.
Im September 1707 erwarb der Leipziger Kaufmann Johann von Kuntsch (1645–1714) das Rittergut Langenleuba. 1708 wurden er und sein Bruder Christoph von der kaiserlichen Krone aufgrund ihres Reichtums und ihrer Verdienste in den Adelsstand erhoben. Die Brüder übernahmen das europaweit gut vernetzte Handelshaus ihres Vaters für Drogen und Gewürze. Christoph von Kuntsch (1640–1724) war Jurist und Geheimer Rat von Altenburg, während Johann weiterhin mit Gewürzen handelte. 1707 wurde die mittelalterliche Burg abgebrochen.
Zwischen 1707 und 1711 ließ Johann von Kuntsch ein imposantes Herrenhaus errichten, eine symmetrisch angelegte zweigeschossige Vierflügelanlage mit 121 Fenstern, 18 Fensterachsen an den Längs- und neun an den Schmalseiten. Die Fassade des prächtigen Herrenhauses wird durch mehrere leicht vorgezogene Risalite betont. Der Bau war einst von Wassergräben umgeben, wirkte mit seinen Freitreppen, dem hohen Mansarddach und einem Festsaal mit zwei offenen Kaminen fast wie ein Schloss – weit entfernt vom üblichen Erscheinungsbild der Herrenhäuser in der Umgebung.
Deckenstuck, figürliche Fassadenelemente, Fensterachsen und Raumproportionen erinnern stark an zeitgenössische Stadtpalais, allen voran das Taschenbergpalais und das Coselpalais in Dresden. Stuckdecken, symmetrische Fassadengliederung und das Wechselspiel aus Funktionalität und Prachtentfaltung lassen eine Nähe zu bedeutenden Residenzbauten erkennen.
Vermutlich wurde der Entwurf von Johann Gregor Fuchs (1650–1715) geschaffen, einem bedeutenden Architekten des sächsischen Barocks mit engem Bezug zu Dresden. Für die Umsetzung kommt der Altenburger Ratsbaumeister und Architekt Johann Georg Hellbrunn (1674–1753) infrage. Noch erhaltene Innenräume zeigen originalen Stuck und dekorierte Kamine, die stilistisch der Werkstatt Balthasar Permosers oder seiner Schüler zugerechnet werden können. Die Handschrift der Werkstätten, die auch für den Dresdner Zwinger arbeiteten, scheint stellenweise durch.
Forschungen belegen auffällige Parallelen zum Dresdner Barock der Jahre 1690 bis 1720 – insbesondere das Treppenhaus im Nebentrakt ähnelt stark dem des Coselpalais. Weitere architektonische Übereinstimmungen mit Dresdner Bauten von Johann Georg Starcke oder Matthäus Daniel Pöppelmann, wie Dachaufbauten oder Gewölbeformen, lassen sich in historischen Fotoaufnahmen belegen. Die geschlossene Vierflügelanlage verweist wiederum auf die Leipziger Handelspaläste, ein weiteres Indiz für den Einfluss von Johann Gregor Fuchs, der 1705 von Dresden nach Leipzig wechselte.
Johann von Kuntsch war als Leipziger Kaufmann bestens vernetzt. Sein Handelshaus lag gegenüber der Alten Handelsbörse; seine Kontakte reichten bis an den Hof August des Starken. Denkbar ist, dass auch sein Freund, der vielseitige Baumeister und Philosoph Gottfried Wagner, Einfluss auf die Planung nahm. Die Schmuckelemente in Langenleuba zeigen jedenfalls eine handwerkliche Präzision, wie sie in der Schule Permosers zu finden ist – sowohl in Leipzig als auch in Dresden. Die Urheberschaft des Baus und seiner Schmuckelemente sind aktuell noch nicht geklärt.
1712 wandelte Johann von Kuntsch das Rittergut in ein Familienfideikommiss um und gründete eine Familienstiftung. Das Ensemble sollte nicht nur im Familienbesitz bleiben und zu Wohnzwecken dienen, sondern auch zu Bildungszwecken genutzt werden. Die Einkünfte des Guts und Zinsen des Kapitalvermögens gingen in die Stiftung ein, die damit Legate (Stipendien) für Studierende der Kunst und Musik, Handwerks- und Handlungslehrlinge sowie für die Aussteuer bedürftiger Bräute ermöglichte. Außerdem wurden soziale Einrichtungen in der Umgebung jährlich unterstützt.
1714 erbte Dr. Christoph von Kuntsch das Herrenhaus von seinem Bruder Johann. Noch um 1805 war das Herrenhaus von Wassergräben umgeben. Der vorgelagerte Wirtschaftshof war nur über eine Brücke zu erreichen.
Einen tiefen Einschnitt erlebte das Anwesen im 19. Jahrhundert. 1838 wurde der Südflügel mit den repräsentativen Räumen des Hauses aufgrund schwerer Schäden in der Bausubstanz abgetragen. Der Verlust dieses Flügels markierte den Beginn der Bezeichnung „Halbes Schloss“, die sich bis heute im Volksmund erhalten hat.
Der abgetragene Flügel beherbergte den großen Festsaal, einen Raum, der sich über eineinhalb Geschosse erstreckte. Er war das architektonische Herzstück der Anlage. Die Gründe für den Abriss lagen sowohl in der baulichen Konstruktion als auch in den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Bereits 1724 wurde von Setzungen und statischen Problemen im Bereich der Gründung berichtet. Das Schloss war in nur drei Jahren errichtet worden, und zwar auf einer erweiterten mittelalterlichen Burginsel, deren Untergrund offenbar nicht tragfähig genug war.
Zudem wurde das Gebäude nur selten als ständiger Wohnsitz genutzt. Testamentarisch verfügte Johann von Kuntsch, dass die jährlichen Unterhaltungskosten 100 Taler nicht überschreiten dürften. Diese Summe reichte für die Instandhaltung kaum aus. Während der Napoleonischen Kriege diente der Südflügel vorübergehend als Lazarett französischer Truppen, was zu zusätzlichen Schäden führte. Der schriftliche Nachlass der Familie von Kuntsch im Staatsarchiv Altenburg dokumentiert schließlich eine bewusste Entscheidung zum Teilabriss aus wirtschaftlichen und sicherheitsrelevanten Gründen.
Das Gut blieb bis 1945 im Besitz der Familie von Kuntsch, die es auch für Bildungszwecke nutzte. Bereits im 18. Jahrhundert fanden im Herrenhaus sonntägliche Vorlesungen statt, um die Bildung der Erwachsenen zu fördern. Im Jahr 1926 wurde das Familienfideikommiss aufgehoben und in eine Familienstiftung überführt. Wenige Jahre später, etwa 1930, zog ein Kindergarten in das Herrenhaus. Die Dachflächen aus Biberschwanz wurden zwischen 1932 und 1936 noch einmal saniert. Bis etwa 1970 waren letzte Reste der ehemaligen Wassergräben erhalten. Heute erinnern nur noch leichte Senken im Gelände an den einst schlossartigen Charakter der Anlage.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Bodenreform im Herbst 1945 wurden die Nachfahren der Familie von Kuntsch enteignet. Die Stiftung wurde 1945 aufgehoben. Bereits 1933 gingen größere Teile des Bestands an das Archiv, der verbleibende Teil folgte 1949. Die Gutsanlage wurde in elf Neubauerstellen aufgeteilt. Wohnungen und ein Gasthof wurden in den Wirtschaftsgebäuden untergebracht. Auch eine Berufsschule und weitere Wohnungen befanden sich im Herrenhaus. Die Schule zog 1965 aus dem Gebäude aus. Mit dem Leerstand setzte der weitere Verfall ein. Nach der Wende ging das Anwesen in den Besitz des Bundes über.
In den Jahren 2013 und 2014 wurde ein Teil des Wirtschaftshofs saniert und das Sichtfachwerk im Obergeschoss erhalten. Der Gasthof wurde abgerissen. Die Außenanlage wurde an die heutige Nutzung angepasst. Die Gebäude dienen seither als Wohnungen, Einzelhandelsflächen, Bibliothek und Sitz der Gemeindeverwaltung. Während die Gutsanlage auf diese Weise erhalten blieb, wurde das „Halbe Schloss“ am 20. November 2014 in die Liste der 16 gefährdetsten Schlösser des Thüringischen Landesamts für Denkmalpflege aufgenommen. Ein Streit über das Eigentum des Schlosses wurde beigelegt, und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben veranlasste die kurzfristige Sicherung der Fassade mit Netzen.
Am 28. November 2015 wurde das Herrenhaus erstmals versteigert. Es stand für 5.000 Euro zum Verkauf und wurde für 22.000 Euro an einen Privatmann veräußert. Eine erneute Auktion fand am 1. Juni 2018 durch ein Dresdner Auktionshaus statt. Das „Halbe Schloss“ mit seinen drei erhaltenen Flügeln wurde für 31.000 Euro versteigert, das Mindestgebot betrug nur noch 1.000 Euro.
Im Jahr 2022 gründete sich der Verein „Halbes Schloss Langenleuba-Niederhain e. V.“ mit dem Ziel, das Halbe Schloss zu revitalisieren und zu erhalten. Eine Notsicherung der Schlossanlage begann unmittelbar. 2023 startete die Sanierung des Herrenhauses von 1707. Außerdem fanden Grabungen im Bereich des Fundaments statt, bei denen Reste der mittelalterlichen Burganlagen freigelegt wurden. Seit 2024 unterstützt die Jugendbauhütte den Erhalt der mittlerweile als gesichert geltenden Anlage.
Weitere Teile der Bausubstanz sind erhalten geblieben. 90 Prozent des barocken Bestandes, darunter Stuckdecken, Fassadenschmuck mit Verzierungen, das Wappen und eine Figur, sind noch vorhanden. Außerdem befinden sich auf den 1.340 Quadratmetern nutzbarer Fläche noch die originalen Türen und ein Großteil der Fußböden. Im erhaltenen Gebäudeteil im Obergeschoss liegt ein eindrucksvoller kleiner Saal mit reich verzierter Stuckdecke, der vermutlich als Speisesaal diente. Im Erdgeschoss ist der gut erhaltene Funktionstrakt der Küche erhalten geblieben. Auch die Raumfolgen im Gebäude wurden wiederhergestellt. Die barocke Dachkonstruktion enthält noch über 97 Prozent des bauzeitlichen Holzes. Sie ist ebenso beeindruckend wie das Souterrain, das über den Innenhof erschlossen ist und eine Arrestzelle, eine Backstube sowie eine Fleischkammer umfasst.
Empfehlenswert ist die Website des Vereins mit vielen weiteren Informationen zur Geschichte und insbesondere zur Architektur des Halben Schlosses: www.halbes-schloss.de